N.N.: "Cleve und seine Landwirthschaft"
    
    (Verfasser vermutlich Viktor Jacobi, Prof. an der Universität Leipzig)
  Zur  XVII.   Versammlung  deutscher  Land-   und  Forstwirthe. 
	  Vgl.: V. Jacobi "Landwirthschaftliche und nationalökonomische Studien 
	  in der niederrheinischen 
	  Heimat 
      mit Berücksichtigung des Volkslebens", 
    Leipzig 1854
  
Aus: Illustrirte Zeitung Leipzig, No. 634, 25. August 1855, S. 131 bis 134 
    
	
 
  Laßt  Phantasie mit allen ihren Chören,
    
    Vernunft,  Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
     
   doch,  merkt euch wohl! nicht ohne Schalkheit hören. 
    
                     
                   
                   Goethe's Faust.
   
  
   
	  Abbildung 1: Cleve von der Südseite, vom Flack aus gesehen (Gesamtansicht) 
   
    Das goldige Hertgen van Duytsland, wie die  Holländer mit kindlichem Naturausdrucke Cleve nennen, das knospende, quellende  Cleve, steckt es nicht in seinem lockigen Busch- und Baumwerk wie ein  rothwangiges Mädchengesichtchen mit Purpurlippen, Schneezähnen und Gemsaugen?  Traulich kosend schmiegt es sich, wie an ein Mutterherz, um den Vorsprung des  weiten Bogens, der wie eine Guirlande das von grünen Büschen und Hecken durchsprenkelte,  von Vieh, Höfen, Dörfern, Menschen, Segeln und Radschauflern rührig belebte,  lachende Rheinthal umschließt. Aus dieser Ursache allein hat auch die  Lohengrinsage ihren Schwan hier lokalisirt, der noch heute den Schloßthurm  schmückt und mit winkendem Fittigheben alle Wasserpilger auf dem nahen Strome  dringend einladet, mit ihm das Entzücken in seinem wonnigen Bereiche zu  theilen.
     
             Ebenso wie vom landschaftlichen, läßt sich Cleve auch vom  Standpunkte der praktischen Nützlichkeit und des leiblichen Behagens loben, und  so erklärt sich's, warum die XVII. Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe  vom 27. August bis 1. September gerade hier tagen will. Der Land-, wie der  Fortwirth brauchen nur den Fuß vor die Thore zu setzen, und sie sind nach Belieben,  entweder in der marschigen Rheinaue oder auf der durch unverdrossenen, sinnigen  Fleiß des Landmannes hochzurühmenden Geesthöhe, oder aber in dem alten,  seit dem preußischen Wiederbesitze bis vor wenigen Jahren durch den tüchtigen,  ehrwürdigen Oberforstmeister v. Mülmann zu Düsseldorf auf die trefflichste  Weise bewirthschafteten Reichswalde, das von ihm auch mit schönen Erfolg  versprechenden Kulturen zahmer Kastanien bereichert worden ist. 
     
         1   N.N.,  Verfasser vermutlilch: Victor Jacobi (Professor an der Universität Leipzig);  vgl. Jacobi "Landwirtschaftliche und  ökonomische Studien in der niederrheinischen Heimat mit Berücksichtigung des Volkslebens, Verlag der  Roßberg'schen Buchhandlung, Leipzig 1854
   
    
    
	   
	    
      Abbildung 2: Maria Voß, geb. Reymer (Jugendbildnis, sicher vor 1840)
      
      Die  Exkursionen werden also des Interessanten viel und in wechselnder  Mannigfaltigkeit den Gästen bieten und denselben alle Achtung vor den  clevischen Landbauzweigen einflößen; ihnen zeigend, dass man die neueren  Fortschritte wohl zu nutzen verstehe. Wer etwas weiter, bis in die weselsche  Gegend hin seinen Stab setzt, der trifft von den stattlichen, behäbigsten  Bauerhöfen der Niederung bis hinunter zum Zustand an Höhenbewohnung grenzender  Existenz des Kiesbankbebauers auf der Bönninghardt, alle Schattirungen  bäuerlicher Häuslichkeit und auch zwei neuere, unter Leitung der Regierung  entstandene Kolonien, Luisendorf und Pfalzdorf bei Calcar. Das Lokalkomité zu  Cleve in Holland hat Vorkehrungen getroffen wegen Erleichterung einer nach der  Versammlung zu unternehmenden Exkursion nach dem in Austrocknung begriffenen  Harlemer Meer und nach Amsterdam und hat schließlich zur Förderung der  Geselligkeit Konzert und Ball vorbereitet.
            Ganz besonders muß noch erwähnt werden,  dass man nachträglich darauf gekommen ist, mit der Gartenbausektion auch eine  für Weinbau zu verbinden, um vor einem größern, unbetheiligten Kreise tüchtiger  Männer die Frage zur unbefangenen Entscheidung zu bringen: ob – wie eine Partei  unter den rheinischen Weinproduzenten und Händlern das Publikum glauben zu  machen kein Mittel scheut – das Chaptal'sche und Gall'sche Verfahren des bloßen  Zucker- oder Zucker- und Wasserzusatzes zum sauren Moste aus schlechten  Jahrgängen oder Lagen eine Verfälschung und Benachtheiligung der Gesundheit sei  oder nicht. Weinbauer aus dem östlichen Mitteldeutschland, wo ja schon stark chaptalisirt  und gallisirt wird, welche sich vorurtheilsfrei dem neuen Verfahren  angeschlossen haben und es nicht ausbeuten wollen, um auf eine unedle Weise  ihren Vortheil dabei suchen, können durch Beibringung einiger Flaschen ihres  Erzeugnisses in Cleve wahre Triumphe über das Vorurtheil gegen ihre Weine  feiern.
   
Abbildung 3: Clevische Käserei: Die Käseprobe 
  [Zwei stehende, drei sitzende Herren und ein Diener (?) Küse 
 heranbringend / "Hoher Küsegerichtshof", konstituiert bei der
 land- und forstwirthschaftlichen Versammlung 1846]
 
  Damit  aber, wie Goethe sagt, eine Reihe von guten Tagen den Gästen nicht zu schwer zu  ertragen werde, haben die Vorstände, Freiherr und Kammerherr von  Carnap-Bornheim, Präsident des landwirthschaftlichen Vereins für Rheinpreußen,  und Herr Stupp, k. Justizrath und Bürgermeister der Stadt Köln, sich sehr  rühmlich bemüht, mittelst eines durch Mannigfaltigeit und zum Theil Neuheit der  Gegenstände gewählten Fragenprogrammes für tüchtige Beschäftigung zu sorgen und  für alle Fragen schon im Voraus Sprecher zu gewinnen gewußt, wie denn auch eine  große Anzahl der Notabilitäten der Land- und Fortwirthschaft ihr Erscheinen  zugesagt hat. Vorkehrung ist nicht minder für eine Ausstellung getroffen, bei  der gewiß an schönen Produkten des gesegneten Rheinlandes kein Mangel sein  wird.
  
          Wer aus östlicheren Gegenden durch  Westfalen kommt und per Dampf doch möglichst viel von der Physiognomie der  Gegenden und Lebensweisen auffassen will, dem ist nicht genug zu rathen, bei  Dortmund die köln-mindener mit der bergisch-märkischen Eisenbahn zu  vertauschen, welche, während jene durch höchst nüchterne Ebenen bis Duisburg  schleppt, den Reisenden auf höchst malerischem, mitunter groteskem Wege an  alten Ritterburgen vorbei, durch die Thäler der dortigen, so wundersam grün  kristallklaren Flüsse, der Ruhr und Ennepe, und dann der türkischroth gefärbten  Wupper führt, in denen nicht nur über, sondern auch unter der Erde, in da und  dort und überall hin gestreuten Einzelwohnungen, ferner in Weilern, Dörfern,  Freiheiten, kleinen und großen Städten, wie Barmen und Elberfeld, die  rastloseste Emsigkeit durch alle möglichen Tonarten des Hämmerns, Klapperns,  Rasselns, Schnurrens und Pfeifens sich kund gibt. Auf der  düsseldorf-elberfelder darauf weiter fahrend, bleibt man, bis dicht vor  Düsseldorf, in der freundlich hügeligen bergischen Landschaft und hat bei  Hochdahl eine Strecke, auf welcher die Rheinniederung vom Siebengebirge an, das  heilige Köln ziemlich im Mittelpunkte, in majestätischer Ausbreitung sich dem  staunenden Auge erschließt und dem Reisenden ein langanhaltendes  Ah !  entlocken wird. 
 Forstmänner, welche sich in  Düsseldorf aufhalten wollen, versäumen ja nicht, sich an den k.  Garteninspektor, Hrn. Weyhe, wegen Besichtigung einer sehr sehenswerthen  Koniferenkollektion zu wenden und sich dann zugleich nach der, nahe dabei, im  Jacobi'schen Garten stehenden, 45 Fuß hohen, 1 1/3 füßigen, schlanksten Ceder  auf dem nördlichen Kontinent zeigen zu lassen.
	     
      Abbildung 4: Clevische Käserei: Die Vorratskammer
       [Zwei stehende, raumhohe Regale mit Käsen und zwei weiblichen 
 sowie zwei männlichen Personen, zwei im, zwei außerhalb des 
 Käsereifungsraumes / der Vorrathskammer]
   
	    
  
   Unter  den clevischen Landwirthinnen verdient den Dank der Nachwelt in hohem Grade  Frau Voß, geborene Reymer aus Rindern bei Cleve, gestorben am 13. Februar 1852.  Sie hat die Fabrikation des holländischen Käses, welche sie bei jenseitigen  Verwandten gelernt, zuerst in ihrer Heimath unternommen, gelehrt und so die  allgemeine Verbreitung veranlasst; dadurch aber das wesentliche Verdienst  erworben, dem Landstriche eine ansehnliche Quelle zum Gelderwerbe eröffnet zu  haben. Wegen dieses Verdienstes um die clevischen Gegenden hat denn auch der Maler  Sonderland in Düsseldorf das Porträt der Gefeierten sorgfältigst gezeichnet.  Sie führt in dem Stößer des mit der Käsefabrikation zusammenhängenden  Butterfasses vier Herzen, wodurch heraldisch angedeutet wird, wie tief sich das  Verdienst der wackern, würdigen Frau in die Herzen ihrer Landsleute  eingegraben. Auf dem andern Bilde sehen wir sie im Hintergrunde über ihre  Massen disponiren und vorn ihren biedern, stattlichen Ehemann, Hrn. Peter, der  dieselben schmauchend Revue passiren läßt. Rechts unten erblickt man einen  Laib, welcher Henkel zu haben scheint. Er ist mit einem Gewichte zum Einsenken  eines Ausfüllrestes beschwert. Die Reinlichkeit und strahlende Blankheit in  einer der Käsereien, wie z. B. sonst bei Frau Voß, muß man sehen, um das  Produkt mit doppeltem Appetit zu schmausen. Solchem Eindrucke Folge gebend,  läßt uns denn auch im andern Bilde der Künstler eine höchst behäbige  Gesellschaft erblicken. Doch nein ! sie hat eine weit erhabenere Mission. Sie  ist ein Areopag, den, hätten sie ihn gekannt, die olympischen Spiele  schmerzlich vermißt haben würden. Wir stehen vor dem hohen Käsegerichtshofe,  konstituirt bei der land- und forstwirthschaftlichen Versammlung von 1846.
    
	    
      Abbildung 5: Clevische Kutschkarre mit Leinenplane (Weidemilchkarre) und 
 Milcheimer 
 [Fass für die Aufnahme der jeweiligen Milchmenge nach dem Melken (3 Melkungen pro Tag)]
      
       [Lt. Text liegt daneben ein Butterstößer, darin vier Herzen als 
 heraldischer Hinweis auf den großen Verdienst der Maria Voß, 
 geb. Reymer, verw. Awater, der sich in die Herzen ihrer Landsleute 
 eingegraben hat.]
 
      
Ein  weiteres Bild gewährt uns auf dem Wege von Emmerich nach Cleve der Anblick eines  noch im 14. Jahrhundert als Hauptstrom gangbaren Armes des alten Vater Rhein.  Da die Fähre gerade am andern Ufer liegt, so wollen wir uns mittlerweile bei  dem Bauergutsbesiter Herrn Vingerhoet, Bewohner und Bewirthschafter des  sogenannten alten Hofes, des landüblichen Gehöftes da vor uns, in der Gemeinde  Kollen [Kellen?] gelegen, umsehen. Das Wohnhaus ist im rechtem Winkel an die  Deel angebauet, auf den Innerm, zu welchem das zum vierten Theil geöffnete Thor  führt, links die Kuh-, rechts hinten die Pferdestände sich befinden. Geradeaus  sind die Schweineställe und die Oeffnung zur Dungstätte. Der Knecht zerrt mit  einem Instrument das in die Krippe geschüttete Heu aus einander. Allerlei  Geräthe beleben den übrigen Theil des Bildes. Rechts vorn sieht man in die  Hausflur und die vordere Wohnstube hinein; gegenüber gelangt man durch die  Leiter zu Kammern und Schlafräume der Leute. Die zweite Thür rechts führt aus  der Küche auf die Deel. Wiederum zu der erstern Darstellung uns wendend,  erblicken wir eine Weidemilchkarre mit nebenstehendem Fasse, auf welcher das  jedesmalige Milchergebnis der dreimaligen Melkungen von der Weide nach dem  zuweilen ziemlich entfernten Hofe geschafft wird. Die Thiere bleiben meist den  ganzen Sommer über Nachts draußen und die sogenannten Frechzäune verhindern das  Uebertreten der Grenzen. Die ursprünglich mit der benachbarten holländischen  übereinstimmende Ra çe ist  Mitte vorigen Jahrhunderts,  in Folge einer Viehseuche, mit Schweizerblut gekreuzt, wovon sich Spuren  am Köperbau noch jetzt finden, während die übrigen Eigenschaften mit denjenigen  des Landviehs sich wieder völlig verschmolzen haben. Noch sieht man die nur mit  Leinenplane bedeckte Kutschkarre des clevischen Bauern. Bemerkenswerth ist sie  wegen ihrer naiven Einfachheit im Gegensatze zu dem luxuriösen Kutschwerk der  Bauern anderer deutscher Landstriche und harmonirt mit dem durchgehenden  Charakter der höchst saubern, soliden, aber sehr einfachen übrigen häuslichen  Einrichtung der clevischen Landsleute. Was indeß die Tracht angeht, so hat nur  der weibliche Kopfputz hin und wieder noch seine ländlich sittliche Form  beibehalten; das Uebrige ist verstädtert. Selbst in der benachbarten Grafschaft  Meurs ist die Zähigkeit, mit welcher man noch vor drei Jahrzehenden an einer  ganz eigenthümlichen Form der Bekleidung hing, einem fast allgemeinen  Vertauschen derselben gewichen, sodaß es Zeit wird, dieselbe nach echten  Exemplaren durch Abbildungen der Nachwelt zu überliefern.
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Bildunterschriften zu den Abbildungen S. 132 (mit Kommentaren)
Alle nicht signierten Zeichnungen von J. B. Sonderland /s. Anmerkung
•	Die Abbildungen sind im Text nicht nummeriert.
•	Die Kommentare zu den Abbildungen stammen aus dem Text. 
	     
      Abbildung 6: Der alte Hof in der Gemeinde Kollen bei Cleve
      
        [(Evtl. Kellen?) Mit zwei Kühen, Milchwagen (?) und Hund / Auf
 dem Weg von Emmerich nach Cleve am alten Rheinarm, im 14.
 Jh. noch Hauptstrom; mit Fähre am anderen Ufer.]
       
   
	    
     
	  
	     
	    Abbildung 7: Wohnstube im alten Hofe
	   
   [Frau Voß, geb. Reymer mit ihrem Mann Peter Voß, pfeiferauchend, 
 zwei unbekannte Männer und Hund am Kaffeetisch; rechts unten 
 vermutlich Käseform mit Gewicht zum Auspressen von Molke aus 
 einem Käse in der 
 Nähe des Ofens.] 
	    
	    
	   
	     
  
	    Abbildung 8: Die "Deel" des alten Hofes des Bauergutsbesitzers Vingerhoet
 [Die Diele (Deel) im Stall des alten Hofes, links Kuh-, rechts
 Pferdestände, geradeaus Schweineställe mit Öffnung
zur Dungstätte, mit Knecht, Schubkarre und Radkarre und Durchgang zur 
 Wohnstube. Das Wohnhaus ist im rechten Winkel an die Deel
 angebaut.]
	    
    
      
 Anmerkung zu J.  B. Sonderland
 (aus Wikipedia bzw. Meyers  Konversationslexikon 1897 / Ausdruck 18.10.2004)
  
 Johann Baptist Sonderland ( * 2. Februar 1805 in Düsseldorf, † 21. Juli 1878) war Maler und Radierer.
  An der Akademie in Düsseldorf daselbst  sowie auf Studienreisen in Paris,       Holland und Frankfurt a. M. gebildet, zeichnete sich in seinen  Genrebildern durch Reichtum der Erfindung, Lebendigkeit der Darstellung und  naiven Humor aus.
  
  Unter dem Titel "Bilder und  Randzeichnungen zu deutschen Dichtern" fertigte er eine große Anzahl  radierter Blätter sowie auch die Illustrationen zu Reinicks  "Malerliedern", zu "Münchhausen" von Immermann etc. In den  letzten Jahren seines Lebens wandte er sich ausschließlich der Illustration zu  und schuf eine große Zahl von Aquarellkompositionen, Lithographien nach eignen  und fremden Originalen, Randzeichnungen etc. 
 
  Sein Sohn Friedrich Sonderland, geb. 20.  September 1836 zu Düsseldorf ist ebenfalls ein begabter Maler, der besonders im  humoristischen Genre hervor-ragend ist.
  
 Abschrift und Kommentar: 20.10.2004/M.  Bela/Dr. C.-L. Riedel, MLUA Krefeld
Originalartikel: Aushang vor Hörsaal 1 der  MLUA Krefeld